Wie könnte (d)eine ideale Gesellschaft aussehen?
Diese Methode ist inspiriert von Thomas Morus’ Buch “Utopia” aus dem Jahr 1516. Im Buch begründete er mit der Beschreibung einer utopischen Insel die literarische Gattung des utopischen Romans. Ähnlich wie Morus, entwerfen die Teilnehmenden in dieser Übung ihre eigene Utopie.
Die utopische Insel entfaltet sich entlang bestimmter Werte, die wiederum in Prinzipien übersetzt werden. Diese Prinzipien dienen als Grundgerüst für eine Gesellschaftsstruktur. So wird beispielsweise überlegt, wie Bildung oder Zusammenleben ausgehend von den gewählten Prinzipien in dieser Gesellschaft gelebt würden.
Vorbereitung
Kreatives Schreiben
Ein Großteil der Erarbeitung wird schreibend durchgeführt. Entsprechend sollten alle mit einem Notizbuch oder ausreichend Papier, Stiften und einem angenehmen Platz zum Schreiben versorgt sein.
Innerer Zustand
Außerdem ist ein offener Grundzustand (s. Innerer State) wichtig, um die utopische Kreativität fließen lassen zu können. Entsprechend sollte vorab genügend Zeit darauf in der Gruppe verwendet werden.
Anleitung der Übung
Eine Person leitet mit der jeweiligen Ankündigung des nächsten Schritts durch den Prozess. Dabei hat sie auch die Zeit im Auge. Die anleitende Person selbst kann parallel an der Erarbeitung teilnehmen.
Durchführung
1. Werte bestimmen
Schreiben – 3-4 Min in Stichworten zu der Frage: Welche Werte oder Begriffe sind für dich in deinem Leben zentral und geben dir Orientierung?
→ Siehe Beispielfall, um ein Gefühl für diesen Schritt zu bekommen.
Anschließend wird die Liste gelesen und die bedeutendsten Begriffe unterstrichen. Aus diesen werden wiederum die drei wichtigsten ausgewählt und markiert. Bei der Priorisierung braucht es keinen langen Entscheidungsprozess, sondern eher ein Auswählen der stimmigsten Begriffe aus dem Bauch heraus.
2. Prinzipien formulieren
Nun werden die drei ausgewählten Werte und Begriffe in handlungsleitende Prinzipien übersetzt.
Schreiben – 5 Min zu der Frage: Wie können diese Werte in handlungsorientierte Prinzipien formuliert werden (d. h. grundlegende Überzeugungen, die dir in deinen Entscheidungen Orientierung geben würden)?
→ Siehe Beispielfall, um ein Gefühl für diesen Schritt zu bekommen.
Optional können die Teilnehmenden an dieser Stelle in einen kurzen Austausch zu zweit gehen, sich ihre Prinzipien vorstellen und gegenseitig unterstützen, diese zu pointieren. Es geht nicht um die Bewertung der Prinzipien, sondern darum, dass sie klar und verständlich sowie handlungsorientiert und anwendbar sind.
3. Auf eine utopische Inselgesellschaft anwenden
Die erarbeiteten Prinzipien bilden das logische Fundament für die Inselgesellschaft. Folgendes Szenario stellt die Ausgangssituation dar, von dem aus im Folgenden in Frageblöcken die utopische Inselgesellschaft beschrieben wird:
Stell dir vor, es gäbe ein wenig ab vom Schuss eine autonome, kaum bekannte Insel, auf der Menschen gemeinsam in einer Stadt leben. Diese Menschen organisieren sich schon seit geraumer Zeit um diese Prinzipien herum und haben sich eine kleine Realutopie aufgebaut. Wie sähe es dort wohl aus?
Nun bekommen die Teilnehmenden nacheinander die Frageblöcke (1-3 Fragen) präsentiert, für deren Beantwortung sie jeweils 6 Minuten Zeit haben. Sie können selbst entscheiden, ob sie allen Fragen gleich viel Zeit widmen oder ggf. einzelne Fragen nur knapp oder gar nicht beantworten wollen. Grundlage bilden immer ihre drei erarbeiteten Prinzipien, nach denen sich die kleine Gesellschaft auf der Insel richtet.
Schreiben – jeweils 6 Min pro Frageblock bzw. insgesamt 30 Minuten
- Wie würden sich die Menschen auf der Insel im Alltag begegnen? Welchen Aktivitäten würden sie insbesondere nachgehen? Welche Feste und Rituale gäbe es?
- Wie würden die Leute wohnen (Art der Behausungen und des Zusammenlebens, Nachbarschaft…)? Wie würde mit Konsum- und Verbrauchsgütern umgegangen?
- Wie wäre Bildung gestaltet? Welchen Tätigkeiten oder Berufen würden die Menschen nachgehen?
- Wie sähe die Architektur der Stadt aus? Wo fände Kunst ihren Platz und Ausdruck? Wie wären Verkehrswege und Mobilität realisiert? Welche öffentlichen Plätze und Räume für Gemeinschaftsaktivitäten gäbe es?
- Wie würden sich die Menschen in der Stadt organisieren und politisch strukturieren?
Nach dem kreativen Schreiben nehmen sich die Teilnehmenden noch einmal ein paar Minuten und gehen durch die eben erarbeiteten gesellschaftlichen Bereiche. Dabei markieren sie sich die Ideen, die ihnen an ihrer Utopie am besten gefallen.
4. Austausch
Je nach Gruppengröße stellen sich die Teilnehmenden ihre Entwürfe in 3er-Gruppen oder im Plenum vor. Dabei geht es darum, Ideen wertzuschätzen und nicht zu kritisieren. Eine eigene Utopie zu teilen bedeutet auch, sich verletzlich zu machen. Deshalb hilft es hier, den anderen Rückmeldungen mit folgender Fragestellung zu geben: “Welche Aspekte gefallen mir daran besonders und/oder machen mich neugierig?”
Tipps und Variationen
Die Übung kann vielfach an verschiedenen Stellen ergänzt oder geändert werden.
- Soll eine gemeinsame Utopie für eine Organisation o.ä. entworfen werden, kann in Schritt 1 spezifisch nach den Werten und Begriffen der Organisation gefragt werden. Es sollten dennoch alle Teilnehmenden die Aufgabe jeweils für sich machen, um später ein facettenreicheres Gesamtbild zu bekommen. Zum Zusammenführen der jeweiligen Designs empfiehlt es sich, das Vorgehen Utopien vergemeinschaften zu nutzen.
- Das Aufschreiben kann über längere Zeit zu Ermüdung führen. Deshalb ist es in Schritt 3 sinnvoll, ein bis zwei kurze Bewegungspausen (Strecken, Tanzen u.ä.) zwischen den Frageblöcken einzulegen.
- Um das Potenzial der utopischen Insel für die eigene oder gemeinsame Ausrichtung zu nutzen, empfiehlt es sich, unmittelbar danach eine Selbstverortung anzuschließen.
- Schritt 4 lässt sich zusätzlich anreichern, indem die Teilnehmenden eine kurze Rede aus der Zukunft füreinander vorbereiten, in der sie ihren Entwurf vorstellen.