Strukturiert Potenziale finden
Kollegiale Fallberatung ist ein weit verbreitetes und sehr nützliches Tool, mit dem sich Fachkolleg:innen gegenseitig beraten. Kollegiales utopisches Aufladen ist eine Abwandlung davon. In der Grundlogik geht es darum, die kollektive Intelligenz und Erfahrung der Gruppe zu nutzen, um Lösungswege für aufgetretene Probleme zu finden. Ein Fall kann in der ursprünglichen Fallberatung dabei eine bestimmte knifflige Situation, ein Konflikt oder eine anstehende Entscheidung sein.
Im Prozess wird besonders auf eine genaue Abfolge von Schritten geachtet, damit die:der Fallgeber:in auch tatsächlich hilfreiche Beratung und nicht nur gut gemeinte Ratschläge erhält. So entstehen deutlich bessere Resultate als ohne Struktur. Kollegiales utopisches Aufladen baut auf diesem Vorgehen auf und macht sich den gleichen Effekt zunutze. Nur geht es darum, gemeinsam die utopischen Möglichkeiten eines eingebrachten Falls herauszuarbeiten und anschließend mit realistischen Umsetzungsvorschlägen weiterzuentwickeln.
Welche Fälle eignen sich?
Zunächst braucht die Gruppe einen Fall, den sie im Prozess des kollegialen utopischen Aufladens näher betrachtet. Als Fälle bieten sich etwa Projekte an, die noch in der Konzeptionsphase sind oder denen Energie und Ausrichtung abhandengekommen ist. Auch individuelle Lebenssituationen können als Fall in die Gruppe gebracht werden. Wichtig ist, dass es ein Fall ist, in den die anderen Gruppenmitglieder nicht direkt involviert sind und es eine:n klare:n Fallgeber:in gibt.
Vorgehen
Gemeinsam durchläuft die Gruppe die nachfolgend beschriebenen Schritte. Dabei ist es wichtig auf die Zeit zu achten und die Vorgaben nicht zu sehr auszudehnen. Entsprechend sollte eine Person die Rolle als Zeitwächter:in übernehmen.
Außerdem kann sich die Gruppe eine Moderation geben, die darauf achtet, dass die Empfehlungen der einzelnen Schritte eingehalten werden. Im Idealfall steht eine externe Moderation zur Verfügung.
- Fall vorstellen (10-15 Min.) – Im ersten Schritt stellt die:der Fallgeber:in den Fall der Gruppe vor. Dabei sollte darauf geachtet werden, nicht zu tief in Details zu gehen, sondern den grundlegenden Überblick für ein allgemeines Verständnis zu geben. Beendet werden die Ausführungen mit einer klaren Aussage, wovon genau die:der Fallgeber:in die utopischen Potenziale ergründen möchte. Nach fünf Minuten können die anderen Fragen zum weiteren Verständnis und Informationen stellen. Wichtig ist es dabei, keine Fragen zu stellen, die eine Lösung suggerieren (”hattest du schon einmal darüber nachgedacht, xyz zu kontaktieren?”) sondern ausschließlich Verständnisfragen zuzulassen. Das könnten sein: „Was genau meinst du damit?“, „Was genau bedeutet das?“ „Welche Konsequenzen entstehen dadurch?“ „Welche Rolle spielt Person xyz in der Situation?”
- Brainstorming (5 Min.) – Nun legt die Gruppe los und phantasiert frei zu der Frage “Was ist das größte utopische Potenzial dieses Falls/Projekts?” Alles was kommt ist in Ordnung. In dieser Runde geht es vor allem darum, möglichst verschiedene Potenziale zu entdecken. Die:der Fallgeber:in schweigt währenddessen und macht sich Notizen.
- Priorisieren der besten Ideen (3 Min.) – Jetzt ist wiederum die:der Fallgeber:in dran und teilt der Gruppe mit, welche der identifizierten Potenziale sie am meisten angesprochen haben. Das hat den Grund, dass die Person das umfänglichste Verständnis der Situation hat und deshalb abschätzen kann, welche Ideen sinnvoll sind. Außerdem ist sie diejenige, welche die Ideen am Ende umsetzt, deshalb sollten sie mit ihnen in Resonanz gehen.
- Herausarbeiten konkreter Schritte (10 Min.) – Basierend auf dieser Priorisierung macht sich die Gruppe erneut daran zu überlegen, wie die favorisierten Potenziale gehoben bzw. realisiert werden könnten. Auch hier sucht sie nach mehreren Herangehensweisen und achtet darauf, sich nicht auf einen Weg einzuschießen. Die:der Fallgeber:in hört wieder aufmerksam zu und schweigt.
- Abschlussworte (3 Min.) – Zuletzt liegt es an der:dem Fallgeber:in, die zusammengestellten Vorschläge zu kommentieren oder es sein zu lassen. Das liegt ganz in ihrem:seinen eigenen Ermessen. Entscheidend ist, dass der Prozess damit geschlossen ist und die Person das letzte Wort hat.
Tipps und Variationen
- Falls die:der Fallgeber:in eine Utopie entworfen hat, kann sie die Grundzüge davon ebenso in Schritt 1 vorstellen. So kann die Vision des größeren Ganzen von der Gruppe schon direkt mit in den Prozess des utopischen Aufladens einbezogen werden.
- In Schritt 2 kann die Gruppe wahlweise dem Vorgehen des Utopian Charge folgen, die Sätze also mit “Ja, und…” beginnen und dadurch mehr Dynamik in den Prozess bringen.
- Je nach Komplexität des Falls oder Gruppengröße bietet es sich an, die Zeiten für die einzelnen Schritte etwas zu verlängern.