Anker auf der Vergessenskurve

Anker auf der forgetting curve
Ergebnis

Erinnerungen an die eigene Utopie

Dauer
30 - 60 Min.
Moderations­bedarf
kein Bedarf
Art der Auseinandersetzung
Kreatives Planen
Benötigtes Material
ggf. Smartphone, Papier, Kalender
Komplexität
mittel
Digitalität
online & offline möglich
Personenzahl
1 - ∞
Beispielfall

Während eines Utopie-Workshops hat Tim seine eigene Utopie erstellt und umfänglich beschrieben. Am Ende des Workshops erstellt er vier Gedächtnisanker, um sich im folgenden Monat wiederholt in seine utopische Vision zurückzuversetzen. Dafür greift er zum Teil auf Übungen aus dem Workshop zurück und setzt folgende Anker:

  • Einen Tag nach dem Workshop: eine Verabredung zum Gespräch mit einer Freundin, der er von dem Workshop und von seiner Utopie erzählt
  • Drei Tage nach dem Workshop: eine automatisierte Email, die Tim an sich selbst schickt, in der er sich von einem typischen Tagesablauf in seiner Utopie erzählt
  • Eine Woche nach dem Workshop: eine Erinnerung in Tims Kalender, sich ein selbstgemachtes Video aus dem Workshop anzuschauen, in dem sich sein utopisches Selbst direkt an ihn richtet und ihm von der schönen Welt erzählt, die er möglich machen könnte
  • Drei Wochen nach dem Workshop: Tim bekommt einen “Brief aus der Zukunft”, den er selbst an sich verfasst hat und den die Workshopleitung ihm zuschickt

Menschliches Vergessen und eine Antwort darauf

Im 19. Jahrhundert stellte der Wissenschaftler Hermann Ebbinghaus fest, dass das menschliche Vergessen neu gelernter Inhalte einer gewissen Logik folgt. Unmittelbar nach dem Erlernen geht das Vergessen sehr schnell, dann verlangsamt es sich immer weiter. Davon ausgehend beschrieb er eine “Vergessenskurve”, auch bekannt als “forgetting curve”, die diesen Verlauf darstellt.

Als Antwort darauf entwarf die Lernforschung Modelle, um in speziellen Intervallen das Gelernte wieder in Erinnerung zu rufen und so der Vergessenskurve optimal entgegenzuwirken. So wird ein Lerninhalt z.B. einen Tag nach dem Erlernen erneut angeschaut, dann erneut nach drei Tagen, nach einer Woche und nach drei Wochen. Das wird “spaced repetition” genannt.

Utopien mit kreativen Gedächtnisankern verinnerlichen

Individuell erarbeitete Utopien können große Wirksamkeit im Alltag entfalten, doch selbstverständlich können vielerlei Ablenkungen, Termindichte usw. auch diese Energie verringern. Dem kann mit Gedächtnisankern entgegengewirkt werden, sodass die utopischen Ideen nachhaltig wirken und das Erarbeitete zudem tiefer verinnerlicht wird.

Zum Abschluss eines Utopie-Design-Prozesses (etwa am Ende eines Workshops) empfiehlt es sich deshalb, mehrere solcher Gedächtnisanker zu erstellen und deren Wiedervorlage für bestimmte Tage zeitlich festzulegen. So erstellen die Teilnehmenden ihre eigenen Intervalle für ihre Utopien, die so mit der Zeit ihre Kraft entfalten und nicht in Vergessenheit geraten.

1. Planung

Anfangs überlegen sich Teilnehmende zwei bis vier Anker, die sie sich setzen wollen. Diese Anker bestehen aus zwei Komponenten: dem Inhalt sowie der Übermittlungsform. Letztere bestimmt, wie ein Anker die Teilnehmenden nach einer bestimmten Zeit erreicht. Die Übermittlungsform kann z. B. ein automatisierter Emailversand oder eine Kalendererinnerung sein.

Auch die Inhalte können verschiedene Formen annehmen. Je nachdem, womit sich die Teilnehmenden wohl fühlen, können sie die Anker aufschreiben, Videobotschaften aufzeichnen oder Sprachnachrichten aufnehmen. Sie können auch anderen Personen davon erzählen.

Mögliche Anker-Inhalte

  • Geschriebene Botschaft an sich selbst:
    1. Brief aus der Zukunft: die Teilnehmenden schreiben einen Brief aus der Perspektive eines utopischen Ichs, das sich an ihr jetziges Ich richtet (s. Brief aus der Zukunft)
    2. Rede aus der Zukunft: die Teilnehmenden stellen sich vor, dass sie aus der utopischen Zukunft zurück in die Gegenwart gekommen sind und eine Rede halten. In ihrer Rede richten sie sich an eine große Menschenmenge und laden sie ein, den Weg in die utopische Zukunft einzuschlagen (s. Rede aus der Zukunft)
    3. Tag in der Utopie: die Teilnehmenden beschreiben ihren typischen Tagesablauf in der utopischen Zukunft, z. B. „Ich wache in einer Hängematte auf. Dann gehe ich in die Gemeinschaftsküche und…“
    4. freies Erzählen über die Utopie: dabei können die Teilnehmenden auf Fragen eingehen wie „Wie stelle ich mir die utopische Zukunft vor? Wie lebe ich? Wie leben die Menschen dort? Wie gehe ich meinen Tag nach?“
  • Videobotschaft oder Sprachaufnahme an sich selbst:
    1. Rede aus der Zukunft: siehe oben
    2. Botschaft vom utopischen Ich: das zukünftige Ich aus der Utopie erinnert das gegenwärtige Ich an die schönen Aspekte der Utopie und lädt es ein, sich darauf zuzubewegen
    3. freies Erzählen über die Utopie: siehe oben
  • Treffen mit einer Person:
    1. gemeinsame Fragestellung: sich gemeinsam Zeit nehmen und sich beidseitig Fragen zu Utopien stellen, z. B. “Wie könnten Kinder utopisch aufwachsen?”, “Wie könnten Nachbarschaften in der Utopie aussehen?” usw.
    2. Interview: die andere Person bitten, Interviewfragen über die Utopie zu stellen. Orientierung bieten z. B. die Fragen oben.
    3. freies Erzählen über die Utopie: siehe oben

Mögliche Übermittlungsformen

  • eine Erinnerung in den Kalender schreiben
  • eine Email an sich selbst aufsetzen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt automatisch verschickt wird
  • eine andere Person bitten, uns zu einem bestimmten Zeitpunkt an etwas zu erinnern
  • eine andere Person bitten, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Brief an die eigene Adresse zu schicken

2. Anker erstellen und terminieren

Nun bekommen die Teilnehmenden Zeit, ihre Anker zu erstellen. Je nachdem, was sie sich überlegt haben, verfassen sie Botschaften an sich selbst, nehmen Videos oder Sprachaufnahmen mit ihrem Smartphone auf oder überlegen sich Inhalte für Treffen mit anderen Personen.

Intervalle bestimmen

Anschließend bringen sie die Anker in eine schlüssige Reihenfolge und überlegen sich sinnvolle Intervalle.

Die Bildungsforschung hat keine einheitliche Meinung über die besten Intervalle, eine hilfreiche Stütze kann jedoch die Verdopplung der Zeitabstände sein (1 Tag warten, danach 2 Tage warten, dann 4, dann 8 usw.). Es ist sinnvoll, die Zeitpunkte außerdem etwas an schon bestehenden Terminen zu orientieren, sodass kein Anker an einem bereits komplett verplanten Tag gesetzt wird.

Anker fertig einrichten

Es ist wichtig, die Gedächtnisanker innerhalb der Übung bereits fertig einzurichten und dies nicht als Aufgabe für danach mitzunehmen (also Erinnerungen & Emails einrichten, Termine verabreden usw.). So wird sichergestellt, dass sie nach dem Ende auch tatsächlich greifen und zu der gewünschten Verstetigung und Vertiefung führen.

Tipps und Variationen

  • Neben den hier beschriebenen Vorschlägen zu Gedächtnisankern und Übermittlungsformen lassen sich noch weitere kreative Formen finden. Es lohnt sich also, die Teilnehmenden einzuladen, sich selbst Gedanken zu machen.
  • Unabhängig von zeitlich terminierten Gedächtnisankern können darüber hinaus visuelle oder haptische Anker eingerichtet werden:
    • eine Collage mit Bildern (aus dem Internet), die an die Utopie erinnert
    • eine schriftliche Quintessenz der eigenen Utopie, in besonders schöner Form, z. B. handschriftlich auf schönem Papier aufgeschrieben und eingerahmt
    • ein bestimmtes Objekt, das symbolisch für die Utopie steht und erworben oder erstellt wird
  • Auch die Erinnerungsformen können durchaus kreativ sein. Zum Beispiel könnte ein weiter in der Zukunft liegender Gedächtnisanker (1-2 Monate) darin bestehen, den Anker, z. B. einen Brief, in der eigenen Wohnung zu verstecken. Ein Kalendereintrag erinnert dann daran, wo man den Anker wiederfindet.
Beispielfall

Während eines Utopie-Workshops hat Tim seine eigene Utopie erstellt und umfänglich beschrieben. Am Ende des Workshops erstellt er vier Gedächtnisanker, um sich im folgenden Monat wiederholt in seine utopische Vision zurückzuversetzen. Dafür greift er zum Teil auf Übungen aus dem Workshop zurück und setzt folgende Anker:

  • Einen Tag nach dem Workshop: eine Verabredung zum Gespräch mit einer Freundin, der er von dem Workshop und von seiner Utopie erzählt
  • Drei Tage nach dem Workshop: eine automatisierte Email, die Tim an sich selbst schickt, in der er sich von einem typischen Tagesablauf in seiner Utopie erzählt
  • Eine Woche nach dem Workshop: eine Erinnerung in Tims Kalender, sich ein selbstgemachtes Video aus dem Workshop anzuschauen, in dem sich sein utopisches Selbst direkt an ihn richtet und ihm von der schönen Welt erzählt, die er möglich machen könnte
  • Drei Wochen nach dem Workshop: Tim bekommt einen “Brief aus der Zukunft”, den er selbst an sich verfasst hat und den die Workshopleitung ihm zuschickt

Vertiefende Quellen

Spaced Repetition: A Guide to the Technique

Verwendung von "Spaced Repetition" zum gut verankerten Erlernen neuer Inhalte (englisch)

Die Vergessenskurve

Eine ausführliche Beschreibung der Vergessenskurve

Gelernt und Vergessen – Ebbinghaus klärt auf

Kompakte Beschreibung der Vergessenskurve und ihrer Anwendung

Anschließende Methoden & vertiefendes Wissen

Rede aus der Zukunft
Eine bedeutende Rede an die Nation
45 - 60 Min.
|
1 - ∞ P.
Methode
Brief aus der Zukunft
Post vom utopischen Selbst
15 - 30 Min.
|
1 - ∞ P.
Methode
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